Gender

«Typisch» Mann, «typisch» Frau – verbale Bemerkungen in den Sendungen

Die Geschlechterrollen zeigen sich in Wysel Gyrs Sendungen sowohl implizit – in den Gesichtsausdrücken, Gesten oder der Kleidung – wie auch explizit: In diversen Interviews, Anmoderationen und Abmoderationen kommentiert Gyr das Thema Geschlecht. Dies geschieht teils bewusst als Verweis auf eine damals aktuelle politische Situation, teils wahrscheinlich eher unreflektiert.

Ein Beispiel für einen expliziten verbalen Kommentar ist Gyrs Anmoderation einer Schwellbrunner Blaskapelle mit einer weiblichen Dirigentin.1 Darin sagt der Moderator, die Dirigentin sei ein Beweis dafür, dass die Appenzeller Männer ihre Frauen auch schätzen können und ihnen sogar folgen können, zumindest, wenn diese einen Dirigierstab in der Hand halten. Mit dieser Bemerkung nimmt er Bezug auf einen vorherrschenden politischen Diskurs: Im Jahr 1989, in dem diese Sendung ausgestrahlt wurde, hatten die Frauen im Kanton Appenzell noch kein Stimmrecht auf kantonaler Ebene. In derselben Sendung gibt es noch weitere Anspielungen auf die Geschlechterrollen. So zum Beispiel das Gespräch Gyrs mit einer Zuschauerin.2 Er fragt sie, was sie arbeitet und was sie zuvor gemacht hat. Sie sagt, sie sei Hausfrau und habe zuvor geglättet. Auch wenn das Interview live geschieht und spontan wirkt, ist angesichts der akribischen Vorbereitungen der Diräkt-us …-Sendungen davon auszugehen, dass Gyr die Antwort seiner Gesprächspartnerin bereits im Voraus kannte. Das Interview Zeugnis der damaligen Realität im Appenzell. Bis 1988, vor dem neuen Eherecht in der Schweiz, war die Frau verpflichtet, sich um den Haushalt zu kümmern und durfte nicht ohne Einwilligung ihres Ehemannes erwerbstätig sein.3

Weitere, vermutlich eher unreflektierte Anspielungen – die damit aber umso deutlicher auf unhinterfragte kulturelle Selbstverständlichkeiten verweisen – kann man in den Aussagen über körperliche Gegebenheiten sehen. So erwähnt Gyr zum Beispiel das Grobe an Männerhänden oder die Zierlichkeit eines Mädchens in einer Familienkapelle.4 Er erwähnt also die «typischen» körperlichen Attribute, die einem Geschlecht zugeschrieben werden. Untypische Äusserlichkeiten werden hingegen nicht erwähnt.

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In manchen Sendungen wird auch über Geschlechterrollen gesprochen – nicht immer ohne Humor.

 

 

 

 

Durch die Geschlechtszuschreibungen werden die entsprechenden stereotypen Attribute verstärkt. Geschlechterunterschiede werden nicht nur dann sichtbar, dies zeigen die erwähnten Beispiele, wenn Frauen auf der Bühne fehlen, sondern sie werden auch in den direkten Kommentaren Gyrs deutlich. Sie sind Zeitzeugnisse der damaligen verbreiteten Geschlechtervorstellungen und der politischen Debatten darüber und zeigen, dass das Fernsehen diese zum Teil mitkonstruiert.

(MT)

 

 

Anmerkungen

1 Diräkt us ... Schwellbrunn, Appenzell AR, Sendung vom 9.8.1989 (Ausschnitt); SRF Medienarchiv FARO.

2 Diräkt us ... Schwellbrunn, Appenzell AR, Sendung vom 9.8.1989 (Ausschnitt); SRF Medienarchiv FARO.

3 Vgl. Schweizer ZGB Fassung 1907: Art. 161 (3) und Art. 167 (1).

4 Bodeständigi Choscht, Sendung vom 13.12.1977 (Ausschnitt); Diräkt us ... Schwellbrunn, Sendung vom 9.8.1989 (Ausschnitt); beide SRF Medienarchiv FARO.