Materialität

Requisiten des Ländlichen (II) – Kutschen und Leiterwagen

Da kommt er ins Dorf, Wysel Gyr, der Moderator auf dem Pferdewagen: Alles scheint langsamer und lebendiger zu sein – der Abstand vom äussersten Punkt der Straße bis zur Mitte des Platzes wirkt länger als üblich. Die Kamera wartet darauf, dass er in seinem khakifarbenen Anzug und mit einem Kabelmikrofon in der Hand die Szene betritt. Der «Ländlerpapst» kommt Diräkt us Aeschi im Berner Oberland live in die Wohnzimmer der Zuschauer*innen.1

Warum eine so seltsame Kombination eines Moderators mit einem Mikrofon in der Hand, der auf einem alten Wagen sitzt und die vorbereitete Szenerie einer Fernsehsendung betritt? Ist das in den 1980er Jahren nicht ein Anachronismus? Im Gegenteil, die Idee eines ländlichen Ortes, ruhig wie in alten Zeiten (so die Imagination), ist eine angenehme Botschaft für die Zuschauer*innen im Heute. Die langsame Bewegung des Wagens bildet den Kontrapunkt zum schnellen und lauten alltäglichen Leben, sie hilft, die richtige Balance herzustellen.2 Kutschen und alte von Pferden gezogene Fahrzeuge spielen als Requisiten eine besondere Rolle dabei, die malerische Vergangenheit herbeizurufen.

Wie auch in Diräkt us Wildberg, wie in vielen anderen von Wysel Gyr moderierten Sendungen, die «direkt aus» einem bestimmten Dorf ausgestrahlt werden, steht das Leitmotiv «Alt und Neu» im Zentrum der Bühne.Es ist ein verregneter Julinachmittag im Jahr 1990, eine Musikgruppe spielt am Straßenrand, die Dorfbewohner*innen beobachten die Szene. Einige von ihnen tragen traditionelle Kostüme, andere T-Shirts zu Jeans oder Shorts. Die Kamera beginnt die Bewegungen zu filmen, die mit der Breite des Objektivs erfasst werden können. Die besonderen Gäste in Wildberg kommen heute in einer alten Kutsche mit Glasfenstern und Messinglampen an jeder Seite in die Sendung.3

Wysel Gyr trägt – ganz der moderne urbane Ermöglicher, der uns in die ländliche Welt entführt – einen Trenchcoat und nähert sich der Gruppe mit dem Mikrofon. Die Gäste bedauern, dass sie nicht mit der Kutsche den ganzen Weg fahren konnten, sondern mit ihrem Auto kommen mussten. Trotzdem war es möglich, eine Kutsche, das beste Zeugnis ihrer lebendigen Volkskulturlandschaft, ins Programm zu bringen. Genau wie Trachten wird dieses alte Transportmittel durch die Medien zum Leben erweckt und trägt eine implizite Botschaft der regionalen Identität.

 

(VB)

 

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Kutschen sorgen für Gemütlichkeit und ein Gefühl fast wie bei einer Zeitreise. Zum Kurztext

Anmerkungen

1 Diräkt us Aeschi, Berner Oberland, Sendung vom 12.8.1981 (Ausschnitt); SRF-Medienarchiv FARO.

2 Diräkt us Wolfenschiessen, Nidwalden, Sendung vom 6.8.1990 (Ausschnitt); SRF-Medienarchiv FARO.

3 Diräkt us Wildberg, Zürcher Oberland, Sendung vom 5.7.1990 (Ausschnitt); SRF-Medienarchiv FARO.