Tourismusbezüge

Offene Bühnen – grenzenlose Performanz

Oft vermengen sich bei medialen Spektakeln das Publikum und die Auftretenden – Gäste und Mitwirkende sitzen gemischt oder nah beieinander in der Sendung. Für die grossen Fernsehshows des TV-Zeitalters war das ein beliebtes Mittel der Illusion von Nähe, das auch die Zuschauer*innen zuhause in den Bann des Gemeinsamen ziehen sollte. Das Konzept des offenen Bühnenraums, bei dem der ganze Raum in Szenerie einbezogen wird, ist auch bei Wysel Gyrs Sendungen ein oft anzutreffendes Regiemittel. Und dies nicht nur im Saal oder Studio, sondern gerade auch bei Freilichtveranstaltungen, etwa den Diräkt us …-Sendungen, wie die folgenden Filmsequenzen exemplarisch zeigen.

Nicht selten «gleiten» die darstellenden, lokalen Gruppen – z. B. Trachtenvereine oder Chlausengruppen in die Sendung hinein, wozu sie in einem bestimmten Winkel vom Hintergrund in den Bildvordergrund «hineinwandern», der damit zur Bühne wird.1

Dort werden sie von den Gästen (oder Mitwirkenden, die ihrerseits schon ihren Auftritt hatten oder diesen noch in der Rolle von Zuschauer*innen erwarten) bereits in Empfang genommen und durch Wysel Gyr begrüsst. Auch der Moderator lässt sich teilweise zur Bühne hinfahren. Die Regie stellt auf diese Weise Gemeinschaft her – egal ob zuhause vor dem Fernseher oder direkt vor Ort, als Zuschauer*in wird man so in den Bann der Ereignisse gezogen und fühlt sich als Teil des Geschehens.

Die «Bühne» ist nicht räumlich abgetrennt, sondern entsteht performativ, durch die Bewegungen der Darstellenden im Raum sowie die Kameraperspektiven. Als Beispiel dafür könnte das Brauchtum des Chlausenumzugs im Walliser Dorf St. Niklaus dienen.2 Jedes Jahr am 5. Dezember wird die gängige, lokale Tradition des Sankt-Nikolaus-Läutens in der genannten Ortschaft gelebt. Während der Vorführung sitzt der Moderator Wysel Gyr – so wie in vielen seiner Sendungen – mit seinen Spezialgästen an einem «urchigen» Holztisch, der sich inmitten des Publikums befindet, ja sogar fester Bestandteil des Zuschauerraums ist. Auch tanzende Trachtengruppen oder Musikkapellen treten direkt im Publikum bzw. davon umgeben auf.3 Nach der Vorführung nehmen die Darbietenden im Zuschauerraum Platz. Auch Wysel Gyr ist stets unter den Zuschauer*innen platziert, weshalb er trotz seiner Funktion als TV-Ansager, alternierend in die Rolle des Zuschauers und unterhaltsamen Performers schlüpft.4

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Offene Bühnenräume schaffen Nähe: Mitwirkende, Gäste vor Ort und Zuschauer*innen zu Hause haben gemeinsam Teil am Geschehen (→ zum Text).

 

 

 

Die Grenze zwischen Publikum und Künstler*innen verwischt hier. Die Betrachter*innen der medialen Inszenierung werden in die Lage versetzt, mit dem Schauplatz zu interagieren. So lässt sich der offene, begehbare Bühnenraum in Wysel Gyrs Sendungen als sinnliche Erfahrung der Zuschauer*innen nachvollziehen. Da sich unter diesen nicht selten auch Tourist*innen befinden und die Drehorte sich explizit an touristische Hotspots halten, kann auch von «touristischen Räumen», von Bühnen touristischen Erlebens gesprochen werden.5

Gerade die alpine Rahmung zahlreicher Sendungen fördert bestimmte sinnliche und vor allem auditive Wahrnehmungsweisen unter den Anwesenden. Die offenen Bühnen bilden zonenartige Komplexe, in denen Handeln zeitgleich ermöglicht und eingeschränkt wird. Dabei wechseln die Künstler*innen jeweils alternierend ihre Rollen zwischen passivem Zuschauen und aktivem Performen.

Die Darbietungen werden inmitten des Publikums vorgetragen, weshalb alle Anwesenden mental direkt an den Beiträgen teilnehmen können. Auf diese Weise werden die Räume der Bühne bzw. diejenigen des Zuschauerpublikum hybrid. Das Erscheinen des SRF-Fernsehteams, die aktive Mitarbeit der auftretenden Gruppen und die Zuschauenden leisten einen wesentlichen Beitrag zur Kreierung der grenzenlosen Bereiche und gestalten letztere fortan aktiv um: Es handelt sich also um «performed places», um Orte, die erst durch das Geschehen an ihnen einen Sinn zugeschrieben bekommen.#note-6

 

(AR)

 

 

Anmerkungen

1 Diräkt us ... Bellwald, Wallis, Sendung vom 1.7.1985 (Ausschnitt); SRF-Medienarchiv FARO.

2 Diräkt us ... St. Niklaus, Wallis, Sendung vom 1.7.1985 (Ausschnitt); SRF-Medienarchiv FARO; Diräkt us-Sendungsunterlagen 1980-1992 Folklore und Heimat/Bestand Wysel Gyr.

3 Diräkt us ... Prättigau: Klosters-Serneus Graubünden, Sendung vom 19.7.1991 (Ausschnitt); SRF-Medienarchiv FARO; 16. Bündner Dörflifahrt vom 16. August 1983 mit Wysel Gyr, Folklore und Heimat/ Bestand Wysel Gyr, Korrespondenzakten.

4 Diräkt us ... Kirchberg, St. Gallen, Sendung vom 28.7.1992 (Ausschnitt); SRF-Medienarchiv FARO.

5 Vgl. Bernhard Tschofen (2017): Raum, Körper und Emotion. Das Alpenerlebnis als spätmoderne Kulturtechnik. In: Kurt Luger und Hans Rest, Hg.: Alpenreisen. Erlebnis. Raumtransformation. Imagination, Innsbruck/Wien/Bozen: Studienverlag, 661–679.

6 Vgl. Vorname Baerenholdt, zit. nach Bernhard Tschofen (2011): XXXXX, 433–440.