Tourismusbezüge

Kleines Dorf ganz gross

Bei der Betrachtung von Wysel Gyrs Sendungen taucht man in eine atmosphärische Gebirgslandschaft ein und beginnt zu träumen. Verwunschene, einst unbekannte Ortschaften dienen als Kulisse für die SRF-Darbietungen. Doch wie wird die dörfliche Authentizität in Gyrs Produktionen medial gestaltet und atmosphärisch vermittelt, und inwiefern werden in den Sendungen Innovation und Ursprünglichkeit in Bezug gesetzt?

Abseits der Volksmusik werden in den Sendungen spezifische, lokale Traditionen vermittelt, wodurch die präsentierten Dörfer in einem authentischen Licht dargestellt werden. Wysel Gyrs Diräkt-us …-Sendungen bilden ein Präsentationsformat für unauffällige Bergdörfer. So ist die Live-Übertragung aus der Ortschaft Randa ein Beispiel für die mediale Umsetzung urtypischer, lokaler Bräuche und gibt einen Rahmen für die Diräkt-us …-Reihe vor: Die Wahl des Ausstrahlungsorts fiel oftmals auf einst unbekannte Walliser Dörfer, wie zum Beispiel Randa und Bellwald, wobei insbesondere ersteres aus dem Schatten des Touristenzentrums Zermatt herausgeholt werden sollte. Der Fremdenverkehr verschaffte sich erst im Laufe der Zeit Zutritt zu den genannten Gemeinden und breitete sich dann aber rasant aus. Der Tourismussektor gewann im gesamten Gomsertal zunehmend an Bedeutung, was auch die Sendungen in den Vordergrund rücken. Hingegen war die Landwirtschaft in Randa in den 1980er Jahren als Erwerbszweig längst in den Hintergrund gerückt – und genau diesen schafft sie buchstäblich in der Fernsehfolklore.

Dies zeigt das Beispiel Diräkt us Bellwald aus dem Jahr 1985.1 Das Dörfli am Fuss des Finsterarhorns wird zunächst als «verschlafenes Nest» präsentiert, das sich im Lauf der Jahrzehnte zu einem touristischen Hotspot gemausert hat. Wysel Gyr, der für seine Sendungen stets landeskundliche Informationen bei den Gemeinden einholt, legt das Jahr 1940 als Startschuss für den Tourismus fest. Bedeutende Meilensteine für den «Fremdenverkehr» (wie es bis in die 1960er Jahre hiess) waren die technische Erschliessung der Ortschaft, wie z. B. mithilfe der Erstellung von Strassenverbindungen, Hotelbauten oder der Errichtung eines Skilifts sowie die Ausweitung des Angebots an Sporteinrichtungen. So steigt die Zahl der sich in Bellwald aufhaltenden Personen von einst 300 regulären Einwohner*innen aufgrund der zunehmenden touristischen Popularität der Region in den 1980er Jahren auf 3000. Auf diese Weise wird ein zu Beginn unauffälliges Dorf – das sich aber im Laufe der Zeit stark zum Modern-Positiven verändert habe – in Diräkt us Bellwald publik gemacht. Dies wird in der Sendung durch die innovativen Entwicklungsprozesse hinsichtlich der verkehrstechnischen Infrastruktur gezeigt, wodurch die Ortschaft als touristische Attraktion dargestellt wird.

Ganz im Gegensatz zu Randa, das im Schatten des Wintersport-Eldorados Zermatt steht. Zwar sind auch hier die meisten Bewohner*innen des 400-Seelen-Dorfs im Tourismussektor tätig, wenn auch im mondänen Zermatt selbst. Dennoch wird in Randa laut Wysel Gyr noch bis in die 1980er Jahre hinein – trotz zahlreicher Veränderungen – noch die urtypische Tradition des Backens weitergelebt: So wird im «Bachhuus» einmal jährlich, zumeist während einer Woche zu Jahresbeginn, insbesondere Roggenbrot hergestellt.2

Wysel Gyrs Produktionen machen deutlich, dass zwei ganz ähnliche Orte in den Sendungen komplett unterschiedlich konstruiert werden. Somit wird Randa als typisches Walliser Dorf präsentiert, in welchem die Erhaltung seines ursprünglichen Charakters gross geschrieben wird. Bellwald dagegen wird als innovative und fortgeschrittene Gemeinde vorgestellt.

i

[1/1]

Aufdeckung des Verborgenen in abseitiger Landschaft … (→ zum Text).

 

 

Beide haben gemeinsam, dass es sich um «unscheinbare» Dörfer handelt – womit sich die Frage stellt, weshalb ausgerechnet solcherlei Gemeinden als Kulissen dienen. Die Antwort auf diese Frage könnte mit den, während der Live-Übertragungen vor Ort anwesenden Zuschauer*innen beantwortet werden. Unter ihnen befinden sich nicht selten auch Wysel Gyrs Gäste. Dabei handelt es sich um lokale Akteure, etwa örtliche Trachtenvereine, welche die Wahl des Schauplatzes der Diräkt us …-Sendungen vorgeben. Aufgrund persönlicher Beziehungen bzw. kürzerer oder längerer Aufenthalte in der jeweiligen Ortschaft, verleihen die von Wysel Gyr ausgesuchten Personen den zunächst unscheinbaren Dörfern metaphorisch eine Stimme. Hiermit kommt der subjektive Wertcharakter der jeweiligen Gemeinde, der auf einer persönlichen, alltagsnahen und bevölkerungsnahen Beziehung zur jeweiligen Ortschaft beruht, zum Vorschein. So fiel die Wahl eines weiblichen Gasts von Wysel Gyr aufgrund eines individuellen, lokalen Bezugs auf die Walliser Gemeinde Bellwald.3

In den Diräkt us …-Sendungen werden durch die mediale Präsentation unterschiedlicher Symbole, wie z. B. des Strassenverkehrsnetzes oder der Backstube, traditionelles Brauchtum und fortschrittliche Modernisierung in den Vorder- und Hintergrund gerückt. So werden zwei ähnliche alpine Gemeinden, zwei zunächst unauffällige Bergdörfer, hinsichtlich der beiden Phänomene «Innovation» und «ursprüngliche Tradition» komplett unterschiedlich inszeniert.

 

(AR)

 

 

i
i
i
i
i

[1/5]

Offene Bühnenräume schaffen Nähe: Mitwirkende, Gäste vor Ort und Zuschauer*innen zu Hause haben gemeinsam Teil am Geschehen (→ zum Text).

 

[2/5]

Mehr als Requisiten: Häuser betreten die Bühne in den Diräkt us …-Sendungen.

[3/5]

Kutschen sorgen für Gemütlichkeit und ein Gefühl fast wie bei einer Zeitreise. Zum Kurztext

[4/5]

Gerade in der Reihe Diräkt us … wurden Orte auch als touristische Destinationen inszeniert (→ zum Text).

 

[5/5]

Die Tracht, das Kleid der Heimat: Sie schmückt und «ver-ortet» die Sendung in der jeweiligen Region.

Anmerkungen

1 Diräkt us Bellwald, Wallis, Sendung vom 1.7.1985 (Ausschnitt); SRF-Medienarchiv FARO.

2 Diräkt us Randa, Wallis, Sendung vom 3.7.1985 (Ausschnitt); SRF-Medienarchiv FARO.

3 Diräkt us Bellwald, Wallis, Sendung vom 1.7.1985 (Ausschnitt); SRF-Medienarchiv FARO.