Gender

Geschlechterungleichgewicht und homogene Formationen

Wie unterscheiden sich die Geschlechterrollen in den Volksmusiksendungen?

In den Volksmusiksendungen Wysel Gyrs treten vor allem reine Männerformationen auf; reine Frauenformationen sind eher selten anzutreffen. Wenn sie vorkommen, dann meistens als Jodlerinnen.1 Dies könnte durch Ortners Beobachtung begründet werden, dass das in der Gesellschaft Frauen eher mit dem natürlichen Prinzip in Zusammenhang gebracht werden und Männer eher für die Kultur stehen.2 Musik zu machen gilt als kulturelle Ausdrucksform. Singen ist als musikalische Form noch das scheinbar «Natürlichste», da es dafür keine technischen Hilfsmittel wie Instrumente braucht.

Gemischte Formationen kommen in den Volksmusiksendungen öfters vor als reine Frauenformationen, aber seltener als Männerformationen. Häufig handelt es sich bei den geschlechtergemischten Formationen um Familienkapellen. Hier kann man zwar Unterschiede zwischen ihrer Performanz und ihren Gesichtsausdrücken sehen, jedoch bestehen keine Gender-Unterschiede bei Instrumentenwahl oder ihrer musikalischen Rolle – in Familienkapellen sind Instrumente und Stimmen wohl nach persönlichen Vorlieben oder Notwendigkeiten verteilt.3 In vielen anderen gemischten Auftritten ist dies anders. Oft sorgen die Männer dabei für die Musik, während die Frauen eher ästhetische Funktionen einnehmen. Sie sind also auf der Bühne, tragen aber nicht zur Musik selbst bei. Daraus lässt sich schliessen, dass ihre Funktion vor allem nur darin liegt, das Bühnenbild zu verschönern.

Doch bereits in frühen Sendungen, beispielsweise in Für Stadt und Land in den 1970er Jahren, gibt es auch Beispiele, bei denen uniforme geschlechtergemischte Formationen auftreten.4 Bei diesen gibt es keine oder kaum Unterschiede im Verhalten oder Auftreten zwischen den Geschlechtern. Die Frauen performieren hier nicht eine naive, überfröhliche Rolle und die Männer müssen das Lachen nicht unterdrücken. Es hat den Anschein, als könnten beide Geschlechter ungezwungene, natürliche Gesichtsausdrücke haben.

i

[1/1]

Gender: Es ist kompliziert … Geschlechterrollen (vor allem der Frauen) changieren relational: in gemischten Formationen beim Musizieren anders als beim Tanzen.

 

 

Manchmal sind die Mitglieder der Formationen in Trachten gekleidet. Diese unterscheiden sich zwar zwischen den Geschlechtern, das bleibt aber oft der einzige Unterschied. Da sowohl männliche wie auch weibliche Musiker*innen in Tracht gekleidet sind, ist davon auszugehen, dass die Entscheidung für das Tragen einer Tracht nicht mit dem Geschlecht der Künstler*innen zusammenhängt. Vielmehr wird die Motivation in ihrer volkstümlichen Botschaft und Tradition liegen: In Tracht gekleidet, lassen sich die Künstler*innen und Auftritte auch klar als Teil des Volkstümlichen und der Volksmusik erkennen. Zudem unterstreicht die Tracht auch idealisierte traditionelle Rollenvorstellungen.

Es kommt jedoch auch vor, dass die Künstler*innen geschlechterneutrale Kleidung im Trachtenstil tragen. So treten sie zum Beispiel im Edelweisshemd und Jeans auf. Die Bewegungen, die Gesichtsausdrücke, die Instrumentenverteilungen, die Anordnungen im Raum und die Kamerazeit sind in diesen Beispielen bei beiden Geschlechtern gleich. Manchmal sind sie auch nicht in Trachten gekleidet, sondern tragen exakt gleiche Outfits.5 Diese können modern oder volkstümlich sein, unterscheiden sich aber zwischen den Geschlechtern gar nicht. Hier wird das Geschlecht also nicht über die Kleidung vermittelt. Von Seiten Gyrs wird in der Anmoderation dieser Beispiele auch nie eine Bemerkung dazu gemacht, dass die Formationen geschlechtergemischt sind, obwohl sie eine Seltenheit darstellen.

Diese Beispiele stehen im Kontrast zu den Geschlechterrepräsentationen, welche sonst überwiegend in den Volksmusiksendungen Gyrs gezeigt werden. Sie sind auch dadurch bemerkenswert, da heute aus queerfeministischer Perspektive genau das gefordert wird, was diese Formationen machen: Eine Gleichbehandlung von Geschlechtern und eine Abkehr von verhaltensvorgebenden Geschlechternormen. In einer gewissen Hinsicht hat hier also der Ländler etwas «Progressives».

 

(MT)

 

 

Anmerkungen

1 Diräkt us ... Schwellbrunn, Appenzell AR, Sendung vom 9.8.1982 (Ausschnitt); SRF Archiv FARO.

2 Vgl. Ortner, Sherry B. (1974): Is Female to Male as Nature Is to Culture? In: Michelle Zimbalist Rosaldo/ Louise Lamphere, Hg.: Woman, Culture, and Society. Stanford, CA: Stanford University Press, 68–87.

3 Bodeständigi Choscht, Sendung vom 29.8.1992 (Ausschnitt); SRF Archiv FARO.

4 Für Stadt und Land, Sendung vom 21.11.1975 (Ausschnitt); SRF Archiv FARO.

5 Gala für Stadt und Land, 3.12.1990 (Ausschnitt); SRF Archiv FARO.