Gender

Geschlechterrollen und ihre Performanz – Volkstanz vs. Jodeln

Bei den Volkstänzen lässt sich schön eine Performanz der Geschlechter ablesen; ein eher neueres Thema in der Volksmusikforschung.1 Das heisst, dass die Geschlechter erst durch das Verhalten, das den vorherrschenden Geschlechterrollen entspricht, konstruiert werden. In den Volkstanzgruppen kommen Frauen und Männer oft gemischt vor (während bei den Musikgruppen männliche Künstler in der Überzahl sind und es sich oft auch um reine Männerformationen handelt). Neben den Auftritten von geschlechtergemischten Musikformationen ist das eine der wenigen künstlerischen Ausdrucksformen in den Volksmusiksendungen Wysel Gyrs, in der die Geschlechter gemeinsam etwas performieren.2 (Häufig treten bei den musikalischen Beiträgen nur reine Männerformationen auf. Wenn Frauen in einer künstlerischen Tätigkeit zu sehen sind, dann entweder allein oder als Teil einer Familienkapelle.)

Wenn Frauen alleine auftreten, dann oft als Jodlerinnen. Da Männer beim Jodeln selten mit Frauen gemischt auftreten, kommt es zu reinen Frauenformationen und Liedern, die nur noch von Frauen aufgeführt werden. Das Spannende an diesen Jodlerinnen-Auftritten ist, dass die Frauen eine sehr männlich konnotierte Körperhaltung haben. Sie stehen breitbeinig da und halten die Hände unter den Schürzen. So haben sie dieselbe Körperhaltung wie männliche Jodler, welche die Hände in den Hosentaschen halten.3

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Im Volksmusikfernsehen werden Geschlechterrollen werden performativ in Szene gesetzt (→ zum Text).

 

 

Im Vergleich zu diesen «emanzipierten» Rollenbildern bei den Jodlerinnen ist es interessant, wie binär die Tänze in den Rollenzuweisungen sind: Hier hat jedes Geschlecht klare uniforme Abläufe. Die Tänze und die Anordnung im Raum sind so präzise geplant, dass man sich bei der kleinsten Abweichung nur ein Chaos vorstellen könnte. Oft sieht man bei den Tänzen ganz deutlich, dass der Mann führt.4 Er sagt buchstäblich, «wo es lang geht». Die Frau ergibt sich der Führung des Mannes und führt aus, was er ihr andeutet. So ist es denn doch eher ein «Diktieren und Ausführen» als ein gemeinsames Produzieren.

Spannend ist diese Beobachtung vor allem deshalb, weil die von Wysel Gyr genannten Choreograf*innen häufig weiblich sind. Das heisst, dass Frauen selbst das Skript zur Reproduktion der traditionellen Geschlechterrollen mitschreiben. Dies geschieht auch vor dem Hintergrund der Publikumserwartungen bezüglich der Geschlechterrollen, die vorgelebt werden sollen. Insgesamt entsteht den Eindruck, dass die Frauen in den Sendungen eher als Ergänzung des Mannes und nicht als gleichwertige Künstler*innen angesehen werden.

 

(MT)

 

 

Anmerkungen

1 Haid, Gerlinde (2005): Frauen gestalten: zur Rolle der Frau in der Volksmusik Österreichs und der Alpen. In: Gerlinde Haid/Ursula Hemetek, Hg.: Die Frau als Mitte in traditionellen Kulturen. Wien: Institut für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie, Universität für Musik und darstellende Kunst, 25–52.

2 Vgl. Für Stadt und Land, Sendung vom 21.11.1975 (Ausschnitt); SRF Archiv FARO.

3 Bodeständigi Choscht, Sendung vom 1.5.1984 (Ausschnitt); Diräkt us ... Schwellbrunn, Appenzell AR, Sendung vom 9.8.1982 (Ausschnitt); SRF Archiv FARO.

4 Für Stadt und Land, Sendung vom 28.4.1976 (Ausschnitt); SRF Archiv, FARO.