Gender

Der Anmutige und die Fröhliche – «Doing Gender» mit Blicken und Gesten

Interessanterweise sind es in den Volksmusiksendungen nicht, wie erwartet, primär die Körperhaltung oder die Bewegungen, die den stereotypisch westlichen Geschlechterrollen des 20. Jahrhunderts entsprechen (z.B. sitzen Örgelispieler selten breitbeinig da, was aber vielleicht auch damit zu tun hat, dass dies nicht unbedingt praktisch ist). Vielmehr sind es die Gesichtsausdrücke und die dadurch vermittelten Stimmungen.

i

[1/1]

Offenes Lächeln, versunkener Blick – Gesichtsausdrücke und Gesten sind geschlechtsspezifisch kodiert (→ zum Text).

 

 

Männer, vor allem in Ländlerkapellen, zeigen fast immer einen ernsten Gesichtsausdruck und wenig Emotionen, während Frauen oft in die Kamera «grinsen». Das gibt den Männern einen andächtigen Ausdruck und den Frauen einen naiven, fast übermütigen Anschein. In den Volksmusiksendungen gibt es auch immer wieder Nahaufnahmen von Gesichtern, welche zeigen, wie Männer das aufgeregte Lachen unterdrücken müssen.1

Eine Begründung für diese Geschlechterunterschiede findet sich in der Theorie der Geschlechterrollen. Dem Philosophen Helmuth Plessner zufolge entspricht es der kulturellen Rolle des Mannes, resp. wird es gesellschaftlich von ihm erwartet, kühl, beherrscht und ständig kontrolliert zu sein.2 Die Kulturwissenschaftlerin Sherry B. Ortner entwickelte eine Analyse der gesellschaftlichen Geschlechterrollen, die das Verhältnis des Männlichen und Weiblichen analog von Kultur und Natur sieht – demzufolge gilt es als gesellschaftliche Norm, dass Männer ihre Emotionen verbergen sollten.3 Dies könnte der Grund dafür sein, warum sich die Männer in Gyrs Sendungen ernsthaft zeigen und ihr Lachen (also ihre Affekte) unterdrücken.

Demgegenüber steht die Frau. Nach Ortners Theorie ist es ihr erlaubt, «natürlich» zu sein. Den damals (wie auch heute noch) verbreiteten Rollenmustern zufolge entspricht dies ihrem Wesen, weshalb sie auch im Fernsehen ihre Affekte zeigen darf. Eine kühle, beherrschte Frau gibt es demnach nicht. Sie musste sich munter und naiv zeigen, denn im »Natürlichen« hat es wenig Platz für Scharfsinn. Die Gesichtsausdrücke, welche in Gyrs Sendungen von den jeweiligen Geschlechtern gezeigt werden, lassen sich in dieser klaren Aufteilung der beiden Geschlechter interpretieren.

Heute wird dieses naiv wirkende Auftreten der Frau nicht mehr als etwas Natürliches, sondern eher als Performanz gesehen. Die Kulturtheoretikerin Judith Butler geht davon aus, dass die Geschlechter erst durch diese Schaustellung der ihnen zugeschriebenen Attribute konstruiert werden.[4] So wird zum Beispiel eine Frau erst als Frau wahrgenommen, wenn sie sich naiv gibt. Verbindet man diesen Ansatz mit den Ansätzen von Ortner und Plessner, kann man davon ausgehen, dass die Gesichtsausdrücke ein Spiegel der damaligen gesellschaftlichen Erwartungen an die Geschlechter sind. Die Gesichtsausdrücke kann man also anhand der damalig vorherrschenden Geschlechterrollen erklären. Es zeigt, dass „Doing Gender“ nicht nur auf körperlichen Ausdrücken basiert sondern auch mit Blicken.

 

(MT)

 

 

Anmerkungen

1 Bodeständigi Choscht, Sendung vom 13.12.1977 (Ausschnitte); Für Stadt und Land, 13.2.1967 und 28.4.1970 (Ausschnitte); Diräkt us ... Schwellbrunn, Appenzell AR, Sendung vom 9.8.1982 (Ausschnitt) SRF Medienarchiv FARO.

2 Vgl. Lethen, Helmut (1994): Verhaltenslehre der Kälte. Lebensversuche zwischen den Kriegen. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 94.

3 Ortner, Sherry B. (1974): Is Female to Male as Nature Is to Culture? In: Michelle Zimbalist Rosaldo und Louise Lamphere, Hg.: Woman, Culture, and Society. Stanford, CA: Stanford University Press, 1974, S. 68–87.  

4 Vgl. Butler, Judith (1999): Gender Trouble. Feminism and the Subversion of Identity. London: Routledge, 1999, S. 5 u. 33 f.