Tourismusbezüge

Tourismuswerbung mit musikalischen Mitteln

Das Folklore-Fernsehen und der ‹Fremdenverkehr›

Alexanda Rietiker

Wer die Volksmusik-Koryphäe Wysel Gyr kennt, wird sich unter seinen Diräkt us…-Sendungen konkret etwas vorstellen können. Die Sendung des Schweizer Fernsehens (1980–1990) präsentiert Volksmusik aus den Regionen der Schweiz – wobei nicht nur Musik erklingt und Trachten gezeigt werden, sondern unterschwellig insbesondere auch der Tourismus gefördert wird: Bei der Betrachtung der SRF-Volksmusiksendungen fällt auf, dass sich mediale Tourismuswerbung – reflektiert durch die Massenmedien – sowie die authentisch gelebte Alltagskultur sich gegenseitig beeinflussen. Die Diräkt us …-Sendungen heben einerseits die für den Fremdenverkehr attraktiven Eigenschaften einer Region hervor und präsentieren die Orte entsprechend medialer Mechanismen, indem sie besonders die touristischen Highlights vorstellen. Andererseits ‹funktionieren› sie gemäss touristischen Logiken, indem sich ländliche, vor allem alpine Ortschaften mit ihren Bräuchen als authentisch gebliebene Schweizer Dörfer präsentieren und ihre touristische Attraktivität dem Fernsehpublikum vorführen. Die enge Verbindung zwischen Volkskultur, Massenmedien und Tourismus irritiert – zumindest auf den ersten Blick.

Der vorliegende Essay möchte die wechselseitige Beeinflussung zwischen massenmedialer Konstruktion des Fremdenverkehrs in den SRF-Volksmusikproduktionen, Tourismuswerbung und gelebter Volkskultur aufzeigen. Untersucht wird ein paradoxes Phänomen des Fernsehzeitalters: Nämlich das Wechselspiel zwischen medialer Präsentation lokaler Tradition in SRF-Volksmusiksendungen auf der einen und touristischer Verwertung von letzterer auf der anderen Seite. Dabei geht es um die gelebte- performative- örtliche Alltagskultur in ländlichen Gegenden. Ziel des Essays ist die Erforschung einer Parallelkultur der Orte unterhalb der touristischen Schicht, welche der traditionellen Kultur entspringt. Dazu wird die Beziehung zwischen touristischen Regionen auf der einen und deren kultureller Repräsentation auf der anderen Seite untersucht. Insbesondere wird herausgearbeitet, inwiefern Widersprüche zwischen real gelebter, lokaler Tradition und deren medialen Repräsentation in Volksmusiksendungen bestehen und wie die Tourismuswerbung damit umgeht. Ebenso wird der Frage nachgegangen, inwiefern sich die lokalen Traditionen selbst als «authentisch» verstehen und inwieweit letztere medial inszeniert werden und dadurch einen Mehrwert für das Tourismusmarketing darstellen bzw. absichtlich hierfür medial aufbereitet werden.

Die Materialbasis für die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Tourismus, bergdörflicher Folklore sowie Volksmusik bilden grösstenteils, aber nicht ausschliesslich, die Sendereihen Diräkt us … sowie Gala für Stadt und Land, beide präsentiert von Wysel Gyr.1 Entschieden habe ich mich überwiegend für Sendungen aus den Kantonen Wallis und Graubünden, bei denen sich die analysierten Phänomene besonders deutlich zeigen. Für die Analyse des Untersuchungskorpus dient Ina Merkels (2014) Adaption der Methode des close reading für populäre Medien.2

Mediale Inszenierung von Authentizität

Im Folgenden soll Thomas Barfuss’ (2018) Konzept der «Beziehung zwischen Authentizität und Inszenierung» vorgestellt werden.3 Laut Barfuss entsteht Authentizität durch Inszenierung. Das Schweizer Fernsehen zielte mit seinen Volkskultursendungen der 1970er und -80er Jahre ganz auf die Geschmackspräferenzen eines Harmonie und Tradition suchenden Publikums. So werden in den Sendungen beispielsweise typische, lokale Bräuche für das Fernsehen aufgeführt und als «authentisch» präsentiert: Wysel Gyrs Diräkt us…-Sendungen aus den 1980er Jahren zeigen dem Zuschauer landwirtschaftliche Arbeitsfelder, besondere Traditionen, Aufführungen von lokalen Jodlervereinen und Chören, Tanzfeste oder Trachtenvereine und suggerieren damit einen weitgehend in der überlieferten Kultur aufgehobenen Alltag.

Touristische Authentizität ist also als Teil einer massenmedialen Darbietung aufzufassen. Barfuss geht der Frage der «Inszenierung der Alpen» nach, wobei er sich mit der authentischen, traditionellen Kultur in der alpinen Landschaft beschäftigt. Als «echt» und «authentisch» bezeichnet Barfuss ein Phänomen, das allgemein gültig ist und die bildliche Vorstellung von dörflicher Ursprünglichkeit beinhaltet. Die in der jeweiligen Ortschaft gelebte Authentizität unterscheidet sich nicht wesentlich von der Tourismuswerbung.

Die Alpen nehmen seit dem 18. Jahrhundert eine spezifische Position ein, bei der es sich um eine Art «Zwischenstellung» handelt, denn sie sind Wirtschaftsraum, Wunschtraum, Alltagsort und Bühne der Sehnsucht in einem.4 Insbesondere im 18. und 19. Jahrhundert zeichneten sich starke Veränderungen in der Nutzungsintensität zwischen dem Alpenraum und seinem Umland ab. Obschon die Zahl und Grösse der Orte im Gebirge verglichen mit den umliegenden Regionen rascher wuchsen, hatten diese jedoch immer einen ländlicheren, urtypischen und «wilderen» Einschlag. Die Alpensehnsucht, die das Wilde und naturbelassene Raue sucht, wird im touristischen Kontext besonders wertgeschätzt. Dies kommt in modernen, alpinen Inszenierungen des 20. Jahrhunderts besonders stark zum Vorschein, wie die im Folgenden vorgestellten Sendungen zeigen.

Touristische Höhepunkte in Szene gesetzt

Am 2. Juli 1985 hiess es im Schweizer Fernsehen Diräkt us … Oberwallis: Ried-Mörel. Den Auftakt der Sendung bildet das Motiv der roten Luftseilbahn5, deren Bedeutung in den folgenden Abbildungen noch erläutert wird. Das Publikum wird mit diesem Bild darauf eingestimmt, sich geistig in die Umgebung des Walliser Dorfs Ried-Mörel zu begeben. In der Exposition werden weiter zunächst die Kirche und ein Ortsteil eingeblendet. Dort hält die Kamera den Auftritt einer Jodelgruppe fest. Einer der Musizierenden fordert mithilfe eines Lockrufs das Fernsehteam dazu auf, die jodlerische Darbietung aus nächster Nähe zu filmen. Der Blick auf die Szenerie durch die Kameras motiviert zugleich das Publikum zuhause, sich gedanklich in die Umgebung des Dorfs Ried-Mörel zu begeben und sich auf die Themen und Stimmungen der Sendung einzulassen.

Bildkulisse

Oben angekommen, erscheint ein Dorfteil, bei welchem es sich um einen Ausschnitt der kleinen Ortschaft Ried-Mörel handelt. Im Bildvordergrund sind eine Kirche und ein typisches altes Walliserhaus zu sehen. Ebenso sind dort eine Berglandschaft bzw. eine Alp verortet, die Riederalp. Im Mittelgrund kann der Auftritt einer Jodler-Gruppe erkannt werden, wobei die Musizierenden in Trachten gekleidet sind. Bei der Musik handelt es sich unverkennbar um traditionelle Volksmusik, sie setzt sich vor allem aus Juchzern und Jodelrufen zusammen, ein Akkordeon sorgt für die Melodie.

Sehnsuchts(t)raum «Schweizer Berge»

Auffällig ist der in der Exposition vorkommende, sogenannte «Lockruf», der textabhängig ist und die Aufforderung «Chömet go lüege!» beinhaltet. Dieser basiert auf der sogenannten «Zuruf-Hypothese»: Dabei wird versucht, eine Kontaktäusserung von einem Sender zu einem Empfänger vorzunehmen, die eine Einladung beinhaltet.6 Die Zuschauer*innen werden auf diese Weise in die Sendung hineingenommen, indem ihre Aufmerksamkeit für diese schöne Region geweckt wird. Ihnen wird eine typisch schweizerische, idyllische Berglandschaft präsentiert.

Auf diese Weise wird die Einnahme einer anderen Perspektive (jenseits touristischer Logiken) auf die lokale Gebirgslandschaft ermöglicht.7 Durch diesen Einblick in die urtypische Lokalkultur erfolgt die Identifikation des Betrachters mit der als authentisch präsentierten Landschaft. Der Rezipient gewinnt dadurch Erkenntnisse des örtlichen und historischen Kontexts Ried Mörels.8

Lebendige, gelebte Bräuche

Ein anderes Ziel der Sendungen ist es, ortsspezifische touristische Angebote zu zeigen. Die vielfältige Bedeutung des Tourismussektors hebt Wysel Gyr in der Moderation auch hervor, indem er auf die Umgestaltung von Wohnräumen zu Gaststätten, Herbergen und Hotels hinweist, die mit einer Erhöhung der Zahl der Betten bzw. der Übernachtungsmöglichkeiten im Kontext des Fremdenverkehrs einhergeht.9

In diesem Beispiel werden die Eigenschaften der Natur- und Kulturlandschaft der Umgebung des Aletschgletschers betont, und es wird der urtypische Charakter der Siedlung Ried-Mörels hervorgehoben. Zudem wird auf den historischen Wandel des Ortes und den Umgang mit dem traditionellen Siedlungscharakter im Lauf der Zeit eingegangen. Präsentiert werden die als authentisch präsentierten traditionellen Kultur und lebendigen Bräuchen. In dieser Choreografie der Sendung manifestiert sich die wechselseitige Beziehung der drei Bereiche «Wirtschaft», «Gesellschaft» und «Kultur» in der Region Ried-Mörels. Die Verknüpfung des Alpenraums mit unterschiedlichen Freizeitaktivitäten wie Bergsport, Naturerlebnissen, Erholung ist untrennbar, die örtlichen Begebenheiten werden zwar als natürlich und traditionell dargestellt, zugleich aber als verantwortlich für den touristischen Aufschwung ökonomische Erfolg.

Landschaftserfahrung als Interaktion in touristischen Räumen: Performing Tourist Places

Das Konzept der «Landschaftserfahrung als Interaktion» von Bernhard Tschofen fasst sinnlich erfahrbare und narrative Praktiken unterwegs als touristische Kulturtechniken auf.10 Diese Mechanismen spannen konkrete und imaginäre «Handlungsräume» auf und bringen sie in eine Beziehung zueinander. Touristische Räume adressieren vorhandene Mindsets der Betrachter, in welchen diese die entsprechende landscape wiederfinden und mithilfe von Interaktionen hervorbringen.11

In dem Zusammenhang wird weder von neutralen Bühnen noch von blossen Repräsentationen gesprochen, sondern vielmehr durch Handeln gewordene und folglich Handeln wiederum ermöglichende und begrenzende Ordnungssysteme. Bei diesen Systemen handelt es sich um hybride Räume und Güter, welche sich auf das Materielle fokussieren. Daraus folgt, dass «performative» Akte zwischen Gastgeber und Gast zur Entstehung von Orten führt.12

Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Konstruktion eines spezifischen, alpinen Images auch in abgelegenen Tälern und Orten zum Anstieg des Tourismus beitrug. Seine ökonomische Bedeutung Alpenraum nahm seit der Nachkriegszeit rasant zu, allerdings konzentrierte sich das Wachstum lange primär auf die populären, touristischen Hotspots in hochalpinen Gebieten.13 Nicht überall in den Berggebieten hielt der Fremdenverkehr Einzug, zunächst profitierte nur ein kleiner Anteil der Alpengemeinden vom touristischen Wachstum.

Das Schweizer Fernsehen nützte diese Situation für sich und im Sinne der Berggebiete. In seinen Diräkt us …-Sendungen zeigte es dem Fernsehpublikum touristische Highlights – auch aus Orten und Talschaften, die es noch nicht prominent auf die touristische Landkarte geschafft hatten. So verhalf das Fernsehen lange verschlafenen dörflichen Regionen systematisch zu grösserer Sichtbarkeit und profitierte selbst in seinen Sendungen zugleich von der dort glaubhaft präsentierbaren traditionellen Lebensweise. Umgekehrt wurde die dort gelebte Kultur als Zeichen bewahrter Ursprünglichkeit für die besuchten Gemeinden zur ökonomischen Ressource in einem wachsenden Tourismusmarkt.

Anmerkungen

1 Datengrundlage bilden die Sendungen selbst sowie Sendeunterlagen aus dem SRF-Unternehmensarchiv, Folklore und Heimat/ Bestand Wysel Gyr.  

2 Ina Merkel (2014): Historisch-kritische Filmanalyse. In: Christine Bischoff, Karoline Oehme-Jüngling und Walter Leimgruber, Hg.: Methoden der Kulturanthropologie. Bern: Haupt Verlag, 257–271.

3 Vgl. Thomas Barfuss (2018): Authentische Kulissen. Graubünden und die Inszenierung der Alpen. Zürich: Hier+Jetzt, hier S. 10–23.

4 Ebd.

5 Diräkt us Ried-Mörel, Sendung vom 2.7.1985 (Ausschnitt); SRF-Medienarchiv FARO.

6 Vgl. Max Peter Baumann (1976): Musikfolklore und Musikfolklorismus: Eine ethnomusikologische Untersuchung zum Funktionswandel des Jodels. Winterthur: Amadeus Verlag, vgl. S. 114–116, 147.

7 Vgl. Werner Bätzing (2017): Orte guten Lebens. Visionen für einen Alpentourismus zwischen Wildnis und Freizeitpark. In: Kurt Luger und Franz Rest, Hg.: Alpenreisen. Erlebnis, Raumtransformation, Imagination. Innsbruck etc.: Studienverlag, vgl. S. 215–236.

8 Vgl. ebd., S. 233–234.

9 Ebd.

10 Die folgenden Ausführungen beruhen auf Bernhard Tschofen (2017): Raum, Körper und Emotion. Das Alpenerlebnis als spätmoderne Kulturtechnik. In: Kurt Luger und Hans Rest, Hg.: Alpenreisen. Erlebnis. Raumtransformation, Imagination. Innsbruck etc.: Studienverlag, 661–679. Ders. (2012): Atmosphären der Gastlichkeit. Konstruktion und Erfahrung kultureller Ordnungen im Tourismus. In: Rita Bertolini, Hg.: Gastlichkeit. Allmeinde Vorarlberg. Von der Kraft des gemeinsamen Tuns. Bregenz: Bertolini Verlag, 432–441.

11 Vgl. Orvar Löfgren, zit. nach Tschofen (2017), Alpenerlebnis, wie Anm. 10, hier S. 669.

12 Vgl. Tschofen (2012), Atmosphären, wie Anm. 10.

13 Die folgenden Ausführungen beruhen auf Werner Bätzing (2005): Bildatlas Alpen. Eine Kulturlandschaft im Portrait. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, hier S. 134–135.