Gender

Darf ich bitten?

Gender in der fernsehgerechten Volksmusik

Magali Talos

Es ist ein Samstagabend in den späten 1980er-Jahren, als im SRF Fernsehen eine Gala für Stadt und Land über die Bildschirme flimmert. Passend zur Adventszeit wird im Fernsehstudio in Seebach eine «Chilbi»” nachgestellt, die mit passenden musikalischen Auftritten die Weihnachtsstimmung perfekt macht. Nachdem eine singende Hausfrau ihr Lied über das Zimtstärn-Backe zu Ende gejodelt hat, kommt ein Drehorgelspieler im Schausteller-Outfit auf die Bühne, begleitet von einer Frau in einer glänzenden, aufgebauschten Tracht, die so rosa ist, dass sie an ein Prinzessinnenkostüm an einem Kindergeburtstag erinnert. Während der Orgelspieler lachend für den musikalischen Genuss sorgt und bald von einer Big Band, einem reinen Männer-Ensemble, begleitet wird, wippt die Frau im Cupcake-Kleid naiv und verträumt zum Rhythmus der Musik hin und her, trägt aber selbst nichts zur Musik bei. Trotzdem wird sie immer wieder von der Kamera eingefangen, denn der Polyesterglanz ihres Kleides verfeinert die Ästhetik des Bühnenbildes.1

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Klare Rollenverteilungen im Folklorefernsehen: Meist musizieren Männer, Frauen sind fein herausgeputzt.

 

Es ist ein Mittwochabend im Jahre 2020, 32 Jahre, nachdem die Sendung zum ersten Mal ausgestrahlt wurde. Ich schaue mir dieselbe Szene online im SRF-Archiv an und frage mich, wie diese Darbietung im damaligen Kontext wohl beim Publikum angekommen ist. Nicht nur die Vorstellung von Mode hat sich seit der Ausstrahlung dieser Sendung verändert, sondern auch unsere Ansichten über Geschlechterfragen und -rollen. 1988 durften zum Beispiel die Frauen in beiden Appenzeller-Halbkantonen noch nicht kantonal wählen und es war das letzte Jahr vor der Einführung des neuen Eherechts. Nach altem Eherecht konnten Frauen nicht ohne die Einwilligung ihres Mannes arbeiten, sie waren gesetzlich dazu verpflichtet den Haushalt zu machen und noch vieles mehr. Die Ungleichheit von Ehefrau und Ehemann war also im Gesetz festgeschrieben. Mit dem Wissen über den historischen Kontext wird die für heutige Zuschauer*innen fast schon absurd anmutende Szene zumindest teilweise verständlich. Dennoch tun sich für mich vor diesem Hintergrund viele Fragen auf: Widerspiegelt die Volksmusik zu diesem Zeitpunkt die damalige generelle Vorstellung von Geschlechterrollen in der Gesellschaft? Welche Performanz der Geschlechter lässt sich in den Sendungen Wysel Gyrs beobachten? Welche Geschlechterbilder werden dominant präsentiert? Gibt es «ästhetische» und musikalische Unterschiede zwischen den Geschlechtern? Diese Fragen werden im Folgenden an Hand verschiedener Ausschnitte aus Sendungen und kurzer Analysen zu beantworten versucht. Dabei stütze ich mich auf die Sichtung von Sendungen Wysel Gyrs aus den 1960er bis 1990er Jahren. Der Fokus wird auf die Sendungsformate (Gala) für Stadt und Land, Bodeständigi Choscht und Öisi Musig gelegt. Hintergrundwissenaus der Literatur soll dabei helfen, die Befunde richtig einzuordnen. Ausgehend vom Material werden im Folgenden vier Themenschwerpunkte gebildet, die sich mit Blick auf die Fragestellungen beobachten lassen.

- Beobachtungen -

Der Anmutige und die Fröhliche – «Doing Gender mit Blicken»

Laut Helmuth Plessners «Grenzen der Gemeinschaft», die er in den 1920er-Jahren verfasst hat, wird der Mann in der damaligen Gesellschaft als kühl angesehen und soll eine (emotionale) Rüstung tragen. Er darf seine Affekte nicht zeigen, da er sich sonst angreifbar macht. Er sei von Natur aus künstlich. Der einzige Ort, wo er seine Rüstung fallen lassen kann, ist bei der Frau. Sie ist sein natürlicher Gegenpol.2 Ungefähr 50 Jahre später kommt die feministische Anthropologin Sherry B. Ortner zu einer ähnlichen Beobachtung. Sie bemerkt, dass die Frau oft als die Natur – als das natürliche Wesen – angeschaut wird und der Mann als Kultur.3 Es ist natürlich, seine Affekte zu zeigen, und es gilt als beherrscht, es nicht zu tun. Beherrschung (auch in diesem Wort steckt die Semantik des Geschlechts!) ist ein Spiel, also ein Teil von Kultur. Man kann Plessners Theorie teilweise in Ortners übersetzen. Dass dies geht, obwohl ein halbes Jahrhundert zwischen den Beobachtungen liegt, welche die Grundlagen für die Theorien bilden, ist ein Zeichen der Beständigkeit von Geschlechterrollen und mehr noch ihrer grundlegenden Prägungen durch das europäische Denken. Obwohl man nicht vergessen darf, dass sich gerade in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in dieser Hinsicht einiges verändert hat, können diese theoretischen Ansätze aufgrund der Beständigkeit populärer Geschlechterkonzepte, dennoch auf die Sendungen Gyrs angewendet werden. Es ist deshalb daher kaum verwunderlich, dass fast alle männlichen Musikanten in Gyrs Sendungen andächtig und kontrolliert in die Kamera – oder noch öfter: an ihr vorbei – schauen. Aufkommendes Lachen wird unterdrückt. Wenn Beherrschtheit ein Zeichen der Künstlichkeit ist, dann kann Naivität und Fröhlichkeit als der natürliche Gegenpol betrachtet werden. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Frauen überwiegend genau diese Gesichtsausdrücke zeigen.

Zieht man Judith Butler als Kronzeugin einer Geschlechtertheorie des «doing gender» hinzu, kann man davon ausgehen, dass die Geschlechter der Folklore erst durch die Performanz dieser zugeschriebenen Attribute konstruiert werden.4

Geschlechterungleichgewicht und homogene Formationen – wie unterscheiden sich die Geschlechter?

In Wysel Gyrs Sendungen treten meist nur reine Männerformationen auf. Reine Frauenformationen gibt es dagegen eher selten, und wenn, dann werden sie oft durch Jodlerinnen vertreten. Auch dies lässt sich mit Ortners Beobachtung theoretisch erklären.5 Musik machen ist Kultur, singen ist davon noch die natürlichste Ausdrucksform, da man dazu keinerlei Hilfsmittel wie Instrumente braucht. Nur der Körper wird hier verwendet. Gemischt kommen die Geschlechter vor allem in Familienkapellen vor. Es gibt aber auch gemischte Formationen, bei denen kein Unterschied zwischen den Geschlechtern gemacht wird.

Performanz der Geschlechter – die Geschlechterrollen im Volkstanz

Volkstänze sind neben den Auftritten von geschlechtergemischten Musikformationen eine der wenigen künstlerischen Ausdrucksformen in den Heimat-Sendungen des SRF, bei denen die Geschlechter etwas gemeinsam «aufführen», denn meistens handelt es sich bei den Musikgruppen um rein männliche Formationen. Dabei lässt sich eine Performanz der Geschlechter deutlich ablesen. Die Geschlechter werden also im Tanz hergestellt, sie gewinnen dabei gerade im gemeinsamen Auftreten Ausdruck, Sichtbarkeit und Gültigkeit.6 Man kann in den Volkstänzen somit etwas Komplementierendes sehen, da es beide Geschlechter brauchtund es dabei fest zugewiesene Rollen gibt. Gleichzeitig übernimmt immer der Mann die führende Rolle, wodurch die Frau austauschbar zu sein scheint (und es in den Tanzschritten häufig auch ist). Dadurch wird implizit das Bild vermittelt, dass die Rolle des Mannes wichtiger sei, wodurch die Komplementärfunktion ins Wanken gerät.

Auffällig ist auch, dass weibliche Jodlerinnen fast nie in gemischten Formationen auftreten, aber manchmal eine geradezu männlich konnotierte Performanz aufweisen. Das könnte daran liegen, dass sich männliche Jodler nicht gerne mit Frauenformationen mischen. Einige Lieder sind aber in so hohen Stimmlagen, dass sie beinahe nur von Frauen gesungen werden können.6 Die Anpassung des Verhaltens der Jodlerinnen an männlich konnotierte Verhaltensweisen könnte aufgrund der männlichen Prägung dieser Art von Volksmusik geschehen.

Sprechen über Geschlechterrollen

Die Geschlechterrollen manifestieren sich in Gyrs Sendungen nicht nur durch Handlungen und Gesichtsausdrücke, sondern auch durch verbale Bemerkungen. Diese können sowohl von Gyr selbst als auch von Zuschauer*innen oder anderen Akteur*innen geäussert werden. Sie können als implizite oder explizite Hinweise auf das politische Klima verstanden werden, das zur Zeit der Aufnahmen geherrscht hat. Dabei gibt es lokale Unterschiede. So widerspiegelt das Klima in den Appenzeller Halbkantonen nicht das Klima der gesamten Schweiz, die Koketterie mit den traditionellen Geschlechterrollen scheint zur regionalen Eigenart zu gehören.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Volksmusiksendungen des SRF etwas verzögert die schweizerische Situation der Geschlechterpolitik und -rollen reflektieren. Dies könnte auch damit zusammenhängen, dass die Sendungen überwiegend in Kantonen und Regionen spielen, in denen – passend zum Thema Volksmusik – konservativere Werte und teils auch noch Gesetze vorherrschen. Das Konservative an den präsentierten Geschlechterrollen ist also wahrscheinlich weniger eine bewusste Entscheidung Gyrs und der SRF-Redaktion, sondern nicht zuletzt strukturellvorgegeben. Es ist naheliegend, dass die Sendungen vorwiegend in diesen «konservativen» Kantonen spielen, denn dort ist auch die Volksmusik populärer und es gibt mehr Akteur*innen dieses Bereiches. Ob die Volksmusik die konservativen Werte in diesen Regionen schafft oder stärkt, oder ob die Volksmusik konservative Werte aufnimmt, weil sie ein Produkt dieser Regionen ist, bleibt ungeklärt und bedürfte einer vertieften Auseinandersetzung auch jenseits der medialen Repräsentation.

 

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Anmerkungen

1 Gala für Stadt und Land: Ein volkstümliches Stell dich ein in Seebach; Sendung vom 26.11.1988 (Ausschnitt); SRF Medienarchiv FARO.

2 Vgl. Helmut Lethen (1994): Verhaltenslehre der Kälte. Lebensversuche zwischen den Kriegen. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 94; Helmuth Plessner ([1924] 2002): Grenzen der Gemeinschaft. Eine Kritik des sozialen Radikalismus. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

3 Vgl. Sherry B. Ortner (1974): Is female to male as nature is to culture? In: Michelle Zimbalist Rosaldo and Louise Lamphere, eds.: Woman, culture, and society. Stanford, CA: Stanford University Press, S. 68–87.

4 Vgl. Judith Butler (1999): Gender Trouble. Feminism and the Subversion of Identity. London: Routledge, 1999, S. 5 u. 33 f.

5 Vgl. Ortner 1974, wie Anm. 3.

6 Vgl. Butler 1999, wie Anm. 4.

7 Vgl. Gerlinde Haid (2005): Frauen gestalten. Zur Rolle der Frau in der Volksmusik Österreichs und der Alpen. In: Gerlinde Haid und Ursula Hemetek, Hg.: Die Frau als Mitte in traditionellen Kulturen. Wien: Institut für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie, Universität für Musik und darstellende Kunst, 2005, 25–52.